GORALVOR
"DIE MONGENRÖTE"
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"DIE MONGENRÖTE"
Die Sonne begann, den Himmel zu erhellen, und offenbarte eine trostlose Landschaft unter ihrem Licht. Staub, Asche, Tierkadaver und vereinzelt Dornensträucher und Unkraut bedeckten eine weite Fläche – ein Gebiet, das einst, in längst vergangener Zeit, ein fruchtbares und wunderschönes Tal gewesen sein musste. Jetzt war es nichts als ein verzehrtes Ödland. Eine kleine, graue Schlange schlängelte sich über den Boden und fand schließlich Zuflucht unter einem Steinhaufen. Mit ihrer gespaltenen Zunge zischte sie in die Luft und kroch ängstlich zwischen die Steine, dann herrschte totenstille.
Die Gefahr lauerte in der Nähe.
Der Geruch des Todes war ihr dicht auf den Fersen.
Ein kalter Wind erhob sich über dem Tal, das zu jener Zeit als das Tal der Asche bekannt war, und fegte vertrocknetes Gestrüpp hin und her. Zweifellos kündigte sich ein weiteres Unwetter mit Regen und düsterem Himmel an. Plötzlich erschien ein düsterer Reiter, der sein Ross auf einem Hügelkamm zum Stehen brachte. Nach mehreren strapaziösen Tagen auf jenem gewundenen Pfad erblickte er endlich sein Ziel: eine kleine hybride Zitadelle, verborgen zwischen Klippen und Schluchten in diesem tiefen, dunklen Tal. Eine Zugbrücke war der einzige echte Zugang zu dieser selbstsicheren Grenzfestung. Mit einem unaussprechlichen Flüstern erteilte der Reiter seinem Pferd einen Befehl und es setzte sich langsam in Richtung der Brücke in Bewegung – ein gewagtes Unterfangen, denn jeder Bewohner des Lebenden Landes wusste, dass die Hybriden des Westens zuerst schossen und erst später fragten... wenn überhaupt.
Doch der düstere Reiter setzte seinen Weg unbeirrt fort – entschlossen, aber ohne Eile. Sein Pferd war ein merkwürdiges Exemplar mit schwarzem Fell und überlangen Beinen. Es trug einen bedrohlichen Helm, der mit etwas verziert war, das an zwei Hörner erinnerte. Seltsame, uralte Symbole schmückten den Helm von oben bis unten. Zudem trug das Tier eine schwere, kupferfarbene Rüstung, gealtert und mit Ablagerungen bedeckt. Aus der Ferne hätte man meinen können, dass diese Rüstung das Skelett des Pferdes selbst sei – als wäre der kadaverartige Körper aus hartem Metall geschmiedet und nicht aus Fleisch. Der geheimnisvolle Reiter richtete seinen eigenen Helm und die passende Rüstung und umklammerte fest ein längliches Objekt, das in zerschlissene Stofffetzen gehüllt war. Als diese langsam zur Seite glitten, offenbarte sich die Spitze eines scharfen Gegenstands, der beim ersten Sonnenstrahl in einem dunklen Glanz aufleuchtete.
Genau in diesem Moment begann ein naher Dornbusch zu verkohlen. Gleichzeitig floh die vorsichtige, graue Schlange panisch aus ihrem Versteck. Der düstere Reiter und sein schwarzes Pferd bewegten sich weiter in Richtung der Zitadelle. Die Schlange war ohne Zweifel ein glückliches Geschöpf – sie lebte und war unverletzt.
Nicht so unsere Welt.
Nicht so wir.
* * * * *
Weit entfernt von dort, jenseits von Flüssen, Bergen, Wiesen und Sümpfen, schlich ein junger Prinz vorsichtig durch hohe Büsche. Bewaffnet mit einem kurzen, goldenen Schwert mit doppelschneidiger Klinge war der Prinz angespannt. Der Wald, in dem er sich befand, genannt der Goldene Wald, war kein sicherer Ort. Seit uralten Zeiten hatte er als natürliche Verteidigung gedient und bedeckte die weite Fläche zwischen der Festung, der Hauptstadt seines Volkes, und dem Herrschaftsgebiet, dessen gefürchtete Grenzen jenseits der sogenannten Letzten Berge lagen. Diese Berge und jener Wald waren seit jeher der beste Schutz gegen die Horden im Dienste der Néldors gewesen.
Néldors.
Dieses eine Wort ließ ihn erschaudern.
Er blieb stehen, hochkonzentriert. Sein Geist und all seine Sinne waren auf jedes ungewöhnliche Geräusch gerichtet. "Das Ding", nach dem sie suchten, musste ganz in der Nähe sein. Nicht weit von ihm entfernt bewegte sich ein riesiger, muskulöser Mann mit fast zwei Metern Körpergröße und kräftigen Armen. Unglaublich, aber trotz seiner Statur machte der hünenhafte Gefährte kaum ein Geräusch beim Vorrücken. Plötzlich stob eine Schar Paradiesvögel in die Luft. Auf ein Zeichen des jungen Mannes blieben beide reglos stehen. Ormul, so hieß der andere, zog langsam eine schwere Kampfaxt von seinem breiten Rücken und näherte sich dem Prinzen.
– Es ist nah – sagte er, misstrauisch nach links und rechts blickend –, sehr nah. Es gefällt mir nicht, mein Herr. Es weiß, dass wir es suchen.
– Ich weiß – antwortete der Prinz. Er wandte sich zu ihm, legte seine linke Hand auf dessen Schulter und sagte mit Zuversicht: – Aber ich will es tun. Die Zeit ist gekommen, wir müssen uns trennen.
Es war offensichtlich, dass Ormul diese Idee verabscheute. Offene Jagd war seine Stärke, aber dort, mitten im Wald, ohne Reittiere... Der Hüne sah seinen Herrn und Schüler eindringlich an, und der wusste sofort, dass er Entschlossenheit zeigen musste.
– Das war immer der Plan. Du lockst es heraus, und ich jage es.
In den Augen seines Mentors erkannte er ein Meer aus Zweifeln, doch der junge Mann wusste, wie man ihn überzeugt — er tat das schon seit seiner Kindheit.
– An deiner Seite, mein treuer Freund. Immer an deiner Seite – sprach er die alte Redewendung aus, die die Reiter des Reiches vor jedem Kampf nutzten.
Dieser Trick wirkte immer.
– An deiner Seite, mein Herr Akar – antwortete Ormul ergeben und gab schließlich nach.
So entfernte sich Ormul und verschwand in den Tiefen des Waldes, und der junge Prinz war zum ersten Mal seit Wochen völlig allein. Ormul war ein guter Soldat und ein großartiger Lehrer, doch Akar lächelte glücklich über die neugewonnene Freiheit. Der Hüne war wahrlich kein unterhaltsamer Reisebegleiter für einen jungen Mann von kaum dreiundzwanzig Jahren – dem Alter der Volljährigkeit im Königreich Roühm.
Niemand hätte gedacht, dass dieser junge Mann mit einer Körpergröße von etwas über einem Meter siebzig, mit zerzausten, rötlichen Locken, kleinen hellen Augen und einem Gesicht übersät mit Sommersprossen die größte Hoffnung einer ganzen Nation war. Auch seine Kleidung an diesem Tag – einfache, bequeme Stoffe, vom langen Streifzug durch den Wald etwas abgetragen – schmeichelte ihm nicht gerade. Doch wenn man ihm in die Augen blickte... dann konnte man es sehen.
Seine Entschlossenheit, seine Kraft, seine Vitalität, seine Größe.
Akar war Hoffnung in einer düsteren Welt.
Unsere Welt.
Es waren die Gerüchte über eine „Bestie“, die seit mehreren Monden durch den Goldenen Wald streifen soll, die ihn und seinen riesenhaften Mentor dazu brachten, die Jagd auf das flüchtige Wesen zu beginnen. Von Anfang an war der Plan gewesen, dass Ormul das Tier aus dem Dickicht treiben würde – und er es dann aus sicherem Versteck stellen könnte. Und nun war endlich der Moment gekommen. Akar strich über die goldene Klinge seines geliebten Schwertes und wartete geduldig darauf, dass sich die „Bestie“ zeigte.
„Du und ich, Gefährtin“, murmelte der junge Prinz mutig. „Du und ich.“
Ein Lichtstrahl durchdrang die dichte Decke der hellblättrigen Bäume und tauchte das rote Haar des Prinzen von Roühm in warmes Licht. Akar lächelte dankbar gen Himmel.
„Elfs Licht wird uns beschützen, Freundin.“
Ein Schrei riss ihn brutal aus seinen Gedanken.
„Nein! Ich bin zu weit weg“, dachte er sofort und rannte los, so schnell er konnte, in Richtung des verzweifelten Rufes.
Der vertraute Klang von Ormuls Axt, die auf etwas krachte, war klar zu hören – trotz der Entfernung. Dann folgte ein schrecklicher, fremdartiger Schrei, der Akar für einen Moment in seiner Bewegung erstarren ließ. Der ganze Wald schien nach diesem markerschütternden Heulen stillzustehen. Seit vielen Jahren hatte der Goldene Wald solch einen Klang nicht mehr gehört. Ein neuer Ruf riss ihn aus seiner Erstarrung:
– Akar! Akar! – rief Ormul verzweifelt – Mein Herr!
– Halte durch! Ich bin gleich da! – brüllte Akar zurück, in der Hoffnung, die Kreatur damit zu verwirren.
Er sprang über einen Busch, schlug mit seiner Klinge eine störende Ast ab und stürmte wütend in eine kleine Lichtung, frei von Bäumen und Gestrüpp. Dort lag sein Mentor – blutüberströmt, der rechte Arm brutal abgetrennt, ein Strom aus Blut spritzte aus der Brust und durchbrach die Lederpanzerung, die seinen massiven Oberkörper schützen sollte. Die abgetrennte Hand hielt immer noch fest die schwere Axt, nur wenige Schritte vom Körper ihres sterbenden Besitzers entfernt. Für einen Moment verlor Akar seinen Kampfgeist – nicht wegen der Verletzungen, sondern wegen Ormuls verlorenen, vor Angst erfüllten Blick. Denn Akar kannte keinen besseren Kämpfer als Ormul. Und so zweifelte der junge Prinz zum ersten Mal in seinem Leben an sich selbst.
„Was für ein Wesen kann so etwas...?“ fragte er sich erschüttert.
In diesem Moment der Unachtsamkeit stürzte die Bestie – bisher verborgen auf einem Baum – hinterhältig auf ihn. Mit einem einzigen Schlag schleuderte sie ihn mehrere Meter weit. Ob aus Intuition oder Zufall, Akar reagierte und stach blindlings mit seiner Klinge zu. Die goldene Klinge durchbohrte das Ungeheuer und entlockte ihm einen weiteren markerschütternden Schrei. Während er hart auf dem Boden aufschlug, riss die Kreatur das Schwert aus sich heraus und floh taumelnd in den Wald. Akar sprang auf, bereit zur Verfolgung, doch ein weiteres Stöhnen von Ormul ließ ihn innehalten. Er eilte zu seinem schwer verletzten Gefährten, kniete sich nieder und sprach mit zitternder Stimme: – Ormul, hab keine Angst... Du wirst wieder gesund...
– Mein Herr... – erwiderte Ormul unter äußerster Anstrengung – Du bist... mein Stolz... unser großer Prinz... – Er hustete heftig, zitterte, hob langsam seine linke Hand und flüsterte stolz – Immer an deiner... immer an...
Der Hüne verlor das Bewusstsein, bevor er den Satz beenden konnte.
– Ormul! Ormul! – schrie Akar und rüttelte ihn – Ich lasse dich nicht sterben. Nicht hier. Nicht so!
Der junge Prinz erhob sich, schloss die Augen und konzentrierte sich so stark er konnte. Er konnte ihn nicht als Namenlosen sterben lassen. Was er jetzt vorhatte, war durch die ältesten und heiligsten Gesetze seines Volkes verboten – doch das war ihm nun egal. Er erinnerte sich an die letzte Nacht mit seinem Vater. Das einzige Erinnerungsbild, das er von ihm besaß. Ein Bild voller Schmerz. Er hörte die Schreie, sah die brennende Stadt, spürte den Lärm der Schlacht, roch den Rauch von Häusern und Leichen. Er sah seinen Vater, der einen Toten umarmte und hemmungslos weinte... Akar öffnete die Augen – fokussiert wie nie. Er erinnerte sich an die Worte voller Macht, die sein Vater damals sprach...
Plötzlich waren sie da.
– Dórnah muitcó, Dórnah muitcó – rief er mit Nachdruck – Ormul, Dórnah muitcó!
In diesem Augenblick spürte er, wie eine gewaltige Energie seinen Körper durchflutete, wie ein Feuer. Ein Leuchten entstand in seinem Blick, wurde zur Flamme und breitete sich aus. Um ihn und Ormul erhob sich ein halbtransparenter Nebel, der ihre Gestalten verzerrte. Nur das rötliche Glühen in Akars Augen war klar zu sehen, bis sie vollkommen rot waren. Kein Iris, keine Hornhaut – nur rotes Licht, leuchtend und lebendig. Auch seine Haut begann, in rotem Licht zu erstrahlen – deutlich sichtbar im mystischen Nebel. Akar konnte nun nur noch mit Licht und Sombras wahrnehmen. Seine anderen Sinne waren abgeschaltet. Kein Klang. Kein Geruch. Keine Empfindung. Nur Licht und Dunkelheit.
In dem Moment, als die innere Flamme seine Sicht beherrschte, streckte Akar die rechte Hand fest zum sterbenden Körper Ormuls aus – eine schwache, flackernde Lichtquelle in seinen Augen. Er sammelte seine Energie und übertrug sie auf das verblassende Licht von Ormul. Ein Leuchten flammte auf – kraftvoll und stabil. Ein intensives, dunkles Vergnügen durchzog Akars Inneres. Verwirrt von diesem süßen Gefühl zog er zitternd die Hand zurück.
Es hatte funktioniert.
Gewiss, dass die mystische Kunst des Kradparuná gewirkt hatte, wandte er sich dem Fluchtweg der verfluchten „Bestie“ zu. Er sah ihre Spur – ein schmutziges, schwärzliches Kupferglühen, das ihn zutiefst anwiderte. Da er wusste, dass er diesen Zustand nicht lange halten konnte, fokussierte er das Kradparuná und raste durch den Wald, bis er schließlich den Eingang einer Höhle erreichte. Er schloss die Augen, senkte die rechte Hand und gab mit letzter Kraft das Kradparuná auf.
Mit einem Ruck kehrten die Sinne zurück.
Das Geräusch, das er nun im Wald wahrnahm, erschien ihm ohrenbetäubend. Die tausendundeinen Düfte, die er roch, lasteten überwältigend auf ihm. Er begann schwer zu atmen, und alles fing an, sich in seinem Kopf zu drehen. Erschrocken befahl er sich selbst, Ruhe zu bewahren, und dachte dazu an schöne Erinnerungen aus seinem Zuhause und seiner Kindheit: die langen Spaziergänge mit seiner Stiefmutter, Königin Zulaira; die ausgedehnten Ausritte mit seinem Mentor entlang der Pfade des Königlichen Flusses; die Spiele im wunderschönen See des Königs... Nach und nach gelang es ihm, sich zu beruhigen – indem er sich erinnerte, wer er war und was er zu tun hatte.
„Ich werde dich finden, wo immer du dich versteckst. Du wirst bezahlen für das, was du Ormul angetan hast.“
Obwohl ihm schwindlig war, hob Akar sein goldenes Schwert vom Boden auf – dort, wo die „Bestie“ es hatte fallen lassen – und machte sich auf den Weg ins dunkle Dickicht, dem Spurenpfad folgend.
Die Rache war nun seine treue Gefährtin.
* * * * *
Der junge hybride Männling starrte gleichgültig in die Ferne. Erst kürzlich war er zur Zitadelle von Aqgrara versetzt worden. Grorg, so lautete sein Name, dachte daran, dass er mit etwas Glück bald nicht mehr den langweiligen und beschwerlichen Tagschichtdienst versehen müsste. Die Zitadelle lag nun still, nach dem ausgelassenen Fest, das sie am Vorabend gefeiert hatten. Eine Lieferung aus Abgründe war eingetroffen — mit Nahrung, Getränken und Weibchen der neuesten Brut — und alle, Grorg eingeschlossen, hatten ausgelassen gefeiert, vor allem mit den jungen Weibchen, die begierig waren, sich den Männchen zum ersten Mal hinzugeben. Der Hybridenkaiser war in dieser Jahreszeit großzügig, und die Allianz mit dem Dominion brachte dem Reich weit mehr Reichtum, als selbst die besten Auguren vorhergesehen hatten.
Grorg, wie die meisten Hybriden seiner Generation, war zufrieden.
Die schwere, stickige Luft im Tal der Asche — für die meisten Lebewesen auf Kárindor unerträglich — erinnerte ihn an seine Kindheit in Abgründe, wo er viele gute Erinnerungen hatte. Außerdem hatte man schon lange nichts mehr von den anderen Rassen gehört: weder von den arroganten Menschen, noch von den törichten Ónimods.
Ja, Grorg war ein sehr glücklicher Hybrid.
Als das Geräusch galoppierender Hufe sich der von ihm bewachten Torseite näherte, wurde er sofort wachsam. Neue Besucher wurden erst in mehreren Monden erwartet, also erhöhte der Hybrid seine Vorsicht. Er wollte nicht, dass der Hauptmann von Aqgrara — ein erfahrener Krieger der Großen Schlacht — ihn erneut bloßstellte. Also griff er fest nach seinem Bogen und spannte einen abgenutzten Pfeil in Richtung des Pfades.
„Erst schießen, dann fragen.“
Bald sah er, was den Tumult verursachte: Das schwarze, fremdartige Pferd und sein düsterer Reiter hatten ihr Ziel erreicht. Grorg schluckte, konnte kaum glauben, was er sah. Sofort ließ er den Bogen sinken, verneigte sich ergeben und ging auf ein Knie. Der Reiter stoppte sein Pferd in etwas Entfernung zum Graben, der die Zugbrücke zur kleinen Grenzzitadelle schützte. Dann sprach er flüsternd:
– Komm näher, Hybrid.
Mit der Geschwindigkeit des Windes trug eine eisige Brise die Worte bis in Grorgs Ohren. Trotz der Distanz und obwohl der düstere Reiter kaum die Lippen bewegt hatte, hallten sie dröhnend in seinem Kopf. Zögernd aktivierte Grorg den Mechanismus zum Senken der Brücke — doch bevor sie sich bewegte, stürmte er mit großen Schritten über den Graben so schnell wie möglich. Er erreichte den Reiter und kniete erneut nieder. Noch bevor er ein Wort sagen konnte, flüsterte der Ankömmling fast unhörbar:
– Macht euch bereit – sprach er, ohne ihn anzusehen und ohne spürbare Bewegung seiner Lippen.
Wieder spürte Grorg die eisige Brise auf seinem Gesicht, und erneut hallten die Worte mit noch größerer Wucht in seinem Inneren. Der schwarze Reiter übergab ihm das in alte Stoffe gewickelte Objekt. Als der Hybrid es ergriff und dessen kaltes Gewicht spürte, wurde er totenbleich vor Angst. Übelkeit überkam ihn — er wusste nicht warum.
Aber etwas stimmte nicht.
Etwas war furchtbar falsch.
Das schwarze Pferd stieg auf und schnaubte, beruhigte sich dann wieder. Bevor er verschwand, warf der Néldor-Bote dem erschrockenen Hybrid einen schrägen Blick zu — und sprach ein einziges Wort, mit einer Stimme so rau, hart und bösartig, dass sie Grorg durch Mark und Bein fuhr:
– Krieg.
* * * * *
Die „Bestie“ hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihre Spur zu verbergen. Sie war offenbar einfach in panischer Hast geflohen, auf der Suche nach einem Versteck. Zerbrochene Äste, stinkende Blutreste und riesige Fußspuren halfen Akar, schnell jene Höhle zu finden, die er zuvor durch seine mystische Sicht wahrgenommen hatte. Er versteckte sich für einige Minuten, holte tief Luft und analysierte die Umgebung. Er würde sich nicht noch einmal überraschen lassen. Akar hatte kaum noch Zweifel, wem er gegenüberstand. Unmöglich, sie nicht zu erkennen. Selbst wenn er nie einem begegnet war, niemand auf dem gesamten Lebenden Land hatte sie je vergessen — diese erbarmungslosen Kreaturen.
Das Verderben des Nordens, so wurden sie genannt.
Gut, dann würde er sie, eine nach der anderen, zurück in die Hölle jagen, aus der sie gekrochen waren.
„Jetzt gehörst du mir“, murmelte er, auf die Höhle blickend. „Du hast Angst. Du leidest, stimmt’s? Aber ich brauche dein Herz. Wenn Murahm und die anderen es sehen... dann beginnen sie, mich ernst zu nehmen. Feige Bastarde... Ich muss dich jetzt erlegen.“ Er stieß einen frustrierten Seufzer aus. „Willst du etwa, dass ich hineinkomme? Du wartest schon, das weiß ich...“
Gedankenverloren rückte er den silbernen Armreif an seinem linken Handgelenk zurecht — ein kunstvolles Schmuckstück mit Rubineinlagen, das alle Prinzen von Roühm seit Generationen getragen hatten — und betrachtete das Gelände vor der Höhle.
Eine schlechte Idee formte sich in seinem Kopf.
„Ormul... dir wird das ganz und gar nicht gefallen.“
— Ich weiß, was du bist, und warum du hier bist! — rief er, als er ruhig aus seinem Versteck zwischen den Bäumen trat. Herausfordernd stellte er sich vor den Höhleneingang, richtete sein goldenes Schwert darauf und fuhr fort: — Feigling! Dreckige Kreatur! Komm raus, wenn du dich traust, verdammte Bestie! Na los! Worauf wartest du?
Akar meinte, eine Bewegung in der Höhle zu erkennen — zu weit entfernt und im Gegenlicht, um Genaueres zu sehen.
„Jetzt oder nie“, dachte er und rief mit arroganten Worten:
— Ich bin der Prinz von Roühm! Herr von Valtra! Ich befehle dir: Komm heraus und... stirb!
In diesem Moment hob er den linken Arm und ballte die Faust. Die Sonne traf seinen silbernen Armreif und ließ ihn wie eine himmlische Herausforderung aufleuchten. Plötzlich erschien eine riesige Schattenfigur und sprang mit einem mächtigen Satz auf den herausfordernden Prinzen und sein leuchtendes Symbol zu.
Doch dieses Mal war Akar vorbereitet.
Er hatte vorhergesehen, dass die „Bestie“ ihn angreifen würde, sobald sie seine Identität und den Armreif erkannte — und mit durch Training erarbeiteter Geschicklichkeit wich er zur Seite aus. Die Kreatur krachte hart auf den kalksteinernen Boden. In den wenigen Momenten, die sie brauchte, um sich aufzurappeln, stach Akar ihr von hinten sein Schwert tief in den Leib — bis es sie vollständig durchdrang. Mit einem letzten, verzweifelten Aufschrei riss das Wesen die Arme hoch, brüllte vor Schmerz — und fiel leblos zu Boden. Über zweieinhalb Meter pure Masse. Regungslos. Akar drehte sich endlich um und betrachtete seine Beute. Sein schlimmster Verdacht wurde bestätigt. Angewidert setzte der Prinz seinen Fuß auf das gefallene Wesen. Überdimensionale, deformierte Muskelarme. Kohleartige, harte Haut. Ein Rücken, besetzt mit messerscharfen Dornen. Eine Furche im Schädel, etwa zwei Finger breit, die sich vom Nacken bis zur Stirn zog. Und der Geruch... abscheulich, selbst nach den Maßstäben von Kárindor.
Mit unverhohlenem Abscheu sprach Akar nur ein einziges Wort:
— Gonk.
Er versuchte, den riesigen Kadaver zu wenden — vergeblich. Er legte sein Schwert beiseite und stemmte sich unter gewaltiger Anstrengung, keuchend, gegen die Masse. Endlich gelang es ihm. Der Wald blieb außergewöhnlich ruhig. Akar setzte sich, um wieder zu Kräften zu kommen. Er betrachtete das unförmige, von Narben übersäte Gesicht der boshafte Kreatur aus Válruz. Eines der kleinen pechschwarzen Augen fehlte. Auf der harten Stirn ragte ein knöcherner Auswuchs hervor — kreisförmig, schimmernd in blassem Blau mit grauen Nuancen.
Das war der kúhec — das Herz des Gonk.
Während Akar versuchte, dieses Wunder der Natur zu entfernen, fiel sein Blick auf die seltsamen, schmutzigen Nasenlöcher der Kreatur. Keine Nase. Keine Ohren. Wie konnten diese abscheulichen Wesen nur so gut hören? In Gedanken versunken bemerkte er nicht, dass etwas Großes und Lautloses ebenfalls zur Höhle gekommen war. Neugierig angelockt durch Akars Rufe glitt es durch das Dickicht, lautlos. Nur wenige Schritte vom Prinzen entfernt blieb es verborgen in der Vegetation — und beobachtete ihn aufmerksam.
Vielleicht nur aus Neugier.
Oder aus hungriger Neugier...
Akar, ahnungslos, hatte nun den kúhec in Händen und betrachtete fasziniert dessen fremdartige Form. Ein dunkler Wolkenbruch schob sich vor die Sonne, enthüllte das Innere der Höhle. Eine Schattenbewegung huschte durch die Finsternis. Ein Nachtigall begann, ihre Melodie zu singen. Akar hob den kúhec ins Licht und erkannte dessen Schönheit. Mehr als ein Artefakt. Ein Wunder der Natur.
Die Nachtigall verstummte abrupt.
Was immer den Prinzen beobachtete, sah nun, wie der Sombras die Höhle verließ — vorsichtig, lautlos — und sich direkt hinter Akar positionierte. Genau in diesem Moment sah Akar etwas im kúhec reflektiert: Die Augen der Kreatur, direkt hinter ihm.
Doch es war zu spät. Zu erschöpft. Zu verblüfft.
Ein gewaltiger Arm schleuderte ihn gegen die Felswand des Eingangs. Benommen tastete Akar nach seiner Schläfe — Blut. Sein eigenes. Seine Sicht verschwamm, das Gehör versagte. Er glaubte, ein Bärengebrüll zu hören. Die Schattenfigur näherte sich langsam, genoss sein Leid. Akar versuchte aufzustehen — vergeblich. Der Schlag war zu stark. Er sank auf die Knie, stützte sich ab und senkte den Kopf. Ein Blutlache breitete sich unter ihm aus.
„Es ist vorbei. So dumm war ich... Wenn ich sie nur — Grollen — warnen könnte... Dass sie zurück sind...“
Seine Gedanken verschwanden, als die Kreatur auf ihn zustürmte. Stolz wie immer hob Akar den Kopf, bereit, dem Tod mit der Würde eines roten Reiters von Roühm entgegenzublicken. Er würde dem Tod in die Augen sehen — wie man es ihn gelehrt hatte — und sein Licht würde ins Unendliche eilen. Denn der Gonk, den er erlegt hatte, war nicht allein. Akar hätte wissen müssen: Gonks jagten nie allein. Ein zweiter Gonk hatte gewartet — und nun zugeschlagen. Der erste, tödlich verwundet, hatte sich geopfert. Sie waren abstoßend, ja. Aber tödlich.
Immer galt: Entweder sie — oder du.
So ist das Leben. Nicht wahr?
Ohne Gnade packte der zweite Gonk den Prinzen am Hals, hob ihn vom Boden — mit nur einem einzigen deformierten, muskulösen Arm. Akar rang augenblicklich nach Luft. Er konnte sich nicht befreien. Arme und Beine gehorchten ihm nicht. Der Gonk griff seine linke Hand mit dem Armreif, roch verächtlich daran... Dann spuckte er ihm ins Gesicht — ein klebriger, orangefarbener Schleim. Mit blutüberströmtem Gesicht erkannte Akar, dass er bereits halluzinierte. Er hörte wieder das Gebrüll des Bären.
Und dann kam die Dunkelheit.
...10. Ekluv, 20. Euré, Fünfte Ära
Der Der alte Elf bewegte sich gemächlich durch den Saal, durch seine schmerzhafte Lahmheit beschwert, und vergewisserte sich, dass jedes der zwölf hohen Fenster richtig verschlossen war. Das Licht des Abendrots verlieh dem Raum eine besondere Stimmung. Er, Úlatar, war seit seiner Rückkehr aus dem Großen Krieg der Hüter des Saals, und durch das Erbe seiner Ahnen würde er seine Pflicht erfüllen – bis sein Licht die letzte Reise antrete.
– Zeit zu schlafen, meine alten Freundinnen. Zeit zu schlafen – im Laufe der Jahre hatte er sich angewöhnt, bei der Arbeit laut zu sprechen.
Der Saal, bekannt als der der Zwölf Throne, befand sich in einem der sieben Türme des königlichen Palastes von Krádovel, der wichtigsten Stadt unter der Kontrolle des Goldenen Volkes in Belfáel. Jeder dieser Türme war einst von einem der sieben großen Könige errichtet worden, die dem legendären Sonnenkönig Elf nachfolgten. Der Turm, in dem sich der Thronsaal befand, wurde als Turm von Dumara bezeichnet. Die zwölf Throne waren kurz vor dem Fall von Trávaldor, der uralten und riesigen Hauptstadt des Rates, hierher gebracht worden. Dadurch waren sie dem Plündern und der Zerstörung entkommen, die die Stadt beim Angriff der néldor-Heere traf. Die Throne, die dem Saal seinen Namen gaben, waren Symbole einer vergangenen Friedenszeit. Erinnerungen, die wir hinter uns gelassen haben.
Wir brauchten sie nicht mehr.
– Morgen wird ein neuer Tag – murmelte der alte Hüter.
Der Saal war in Wahrheit ein Ort, der ausschließlich Königen und Herrschern vorbehalten war, verborgen vor neugierigen Blicken. Wenn die Gorá, der zerbrochene Mond des Himmels, in vollem Glanz strahlte, spiegelte die Kuppel des Turms von Dumara seine silbernen Strahlen auf eine Weise wider, die nur wenige Dinge auf Erden übertreffen konnten. König Dumara, vierter in der Nachfolge des Sonnenkönigs Elf, ließ ihn einst errichten – als Geschenk für seine Geliebte nach deren Tod. Ihr Spiegelbild war für viele junge Leute aus Krádovel der Anfang der Liebe gewesen. Später, nach Jahrhunderten der Leere, wurde der obere Saal des Turms ausgewählt, um die zwölf Throne aus fernen Ländern zu beherbergen.
– Und dann wird der Nächste kommen. So sagen sie zumindest – Úlatar lächelte über seinen eigenen Scherz.
Der Wert eines jeden Thrones war unschätzbar. Sie bestanden aus reinem Gold, wie es einst aus den reichen Minen des großen östlichen Berges Éter-Muná gewonnen wurde. Jeder der zwölf Throne war kunstvoll mit Schriftzeichen, Symbolen und zierlichen Ornamenten aus Silber, Kupfer, Onyx oder Diamanten von außergewöhnlicher Qualität geschmückt. Jeder war einzigartig in Form und Gestaltung. Viele der Inschriften waren in vergessenen Sprachen verfasst, die die Ursprünge der Königreiche schilderten, denen sie dienten. Zusätzlich waren ihre Rückenlehnen und Armlehnen mit wunderschönen Edelsteinen besetzt.
– Ein Tag nach dem anderen – sagte Úlatar leise, während er von Fenster zu Fenster hinkte.
Fünf rubinrote Sterne, fast eine Handfläche groß, krönten den Roten Thron von Roühm. Drei außergewöhnlich leuchtende Smaragde glänzten auf dem Grünen Thron der Kinder Veühm. Weiße, graue und dunkle Perlen zierten den Perltrhon der Erben des grausamen Ura-Ross. Reines Elfenbein – aus den Zähnen von Drachen oder den Klauen von Glodandros – war dem Weißen Thron der verschwundenen Instruktoren vorbehalten. Saphire und Pyrope schmückten den Thron der Nation Zulá. Orangefarbene Topase bildeten das Symbol von Kádor-Hum.
– Nur noch diese drei, dann morgen wieder – murmelte der Hüter wie an jedem Tag seit fast drei Zyklen.
Opale und Berylle funkelten auf dem Durchscheinenden Thron der Nation Nador. Diamanten und Türkise, miteinander verwoben in einer dicken zerbrochenen Kette, zierten den Grauen Thron der zurückgezogenen sígrim. Der strahlende und prächtige Goldene Thron der Elfen war immer der meistbewunderte – verziert mit den Namen ihrer größten Herrscher und legendärsten Krieger.
– Immer dasselbe mit dir! – schimpfte Úlatar, als er versuchte, das letzte Fenster zu verriegeln – dasjenige, das ihm stets Schwierigkeiten bereitete. Es zeigte direkt auf den dunklen Steinthron – den Schwarzen Thron – den des Dominion.
Der einzige, der wirklich zählte.
Zu beiden Seiten des Schwarzen Thrones befanden sich der Thron aus Unvergänglichem Holz – jener der ónimod-Könige – und der Thron des Feuers, der Thron des hybriden Volkes. Dieser war benannt nach dem eigenartigen Metall, aus dem er gefertigt war: ein seltener stählerner Stoff aus den Tiefen von Abismos, der nachts von innen heraus glühte wie die Feuer der nördlichen Vulkane.
Vergessene Überreste einer anderen Zeit.
Als unsere Welt noch leuchtete.
– Doch wir haben es nicht vergessen – flüsterte der Hüter, bevor er sich zur Tür aufmachte.
Anders als die anderen war der Thron des Dominion nie benutzt worden. Kein Herrscher des Nordimperiums hatte ihn je beansprucht, und niemand wagte es, diesen furchteinflößenden Platz zu besetzen. Seine Herkunft war weitgehend unbekannt – man glaubte, er sei am Ende der Dritten Ära, auch Krádovel Akluev genannt, aus jenseits der Roten Berge nach Trávaldor gebracht worden. Ein Geschenk des damals scheinbar besiegten Nordreichs, als Zeichen des guten Willens. Jahrhundertelang wurden die anderen Throne von Königen, Königinnen oder Richtern mit mehr oder weniger edlem Herzen besetzt. Der Schwarze Thron aber blieb stets fern vom Rat.
Zwecklos. Leer.
Dennoch betrachteten viele Bewohner Krádovels ihn heute als Beweis, dass Frieden mit dem Feind – dem Dominion – möglich sei. Doch Úlatar, der ihn über so viele Jahre hinweg beobachtet hatte, wusste: Dieser Thron war nichts als eine weitere Drohung der Verräter aus dem Norden. Eine Verhöhnung der freien Völker des Lebenden Landes.
– Ich beobachte dich – murmelte der alte Hüter, während er die Türen verriegelte.
Denn manchmal hatte Úlatar das Gefühl, als habe der Schwarze Thron ein eigenes Leben. Er schien sich zu verändern – doch der alte Elf war sich dessen nie ganz sicher. Er war gefertigt aus einem seltsamen, schwarzen Stoff, unbekannt in Belfáel. Durchzogen von noch dunkleren Adern und Rissen, die wie Venen seine raue Oberfläche durchzogen. Der Name der néldor war dort eingraviert – in der verbotenen Sprache der Ersten – geschrieben in abgenutztem Silber. Darüber stand ein einziges, abstoßendes Wort: Béhej’Ari.
Der Unsterbliche.
Die Dunkelheit, die alles verschlingt.
An den Außenseiten der Armlehnen waren spitze, nach innen gebogene Fangzähne angebracht – etwa eine halbe Hand breit die ersten, und jedes weitere größer. Ähnliche Zähne, noch mächtiger, bedeckten die Rückenpartie des Thrones. Jede Ecke war mit gewaltigen kúhecs verziert, die wohl von gonks von übermenschlicher Stärke stammten. Zu Füßen des Thrones war eine Reihe von dreizehn gespaltenen Sphären gezeichnet – überzogen mit Gold und Bronze. In jeder dieser Sphären waren winzige Edelsteine eingearbeitet, ähnlich jenen, die die anderen Throne zierten – doch hier waren sie alle beschädigt, zerbrochen oder nichts weiter als feiner, hässlicher Staub.
Furcht.
Grauen.
Jeder, der den Schwarzen Thron betrachtete, konnte nicht anders, als einen Sombras der Angst zu spüren – tief im Herzen. Ein Gefühl der Niederlage. Eine Qual, die nur der Tod lindern konnte.
Es verletzte die Seele.
Der alte Wächter verschloss jeden der drei Riegel an den Türen mit seinem Meisterschlüssel. Nun war der Saal nur noch durch das schwache Licht einiger Fackeln erleuchtet, die die ganze Nacht brennen würden. Úlatar wusste, dass niemand eintreten würde. Niemand hatte es je getan, seit er zum Wächter des Saales ernannt worden war. Der Rat war ein weiterer verlorener Traum der Zeit. Ein stechender Schmerz durchfuhr sein Bein – an diesem Tag litt er unsäglich. Ein neuer Stich verzog sein Gesicht.
»Ich bin alt, wie ihr... Ich habe keine Schlachten mehr zu schlagen«, beklagte sich der schmerzgeplagte Elf, während er sich gegen die Türen stützte, um nicht zu fallen.
Man sagte, diese Zugangstüren seien Teil einer viel größeren, ebenfalls aus dem untergegangenen Trávaldor stammenden Tür. Manche glaubten sogar, dass es eine der heiligen Türen des Tempels von Raessraw sei, von dem heute nur noch wenige Ruinen nahe der roühm’schen Bastion der Festung übrig sind.
Vielleicht waren es nur Legenden.
Seine Zeit war vorüber.
Nun war es unsere.
Gerade als der alte Wächter die Türen mit dem Schlüssel sicherte, packte ihn eine Hand fest an der Schulter – so erschrocken war Úlatar nicht mehr gewesen seit den Zeiten des Großen Krieges. Aufgeschreckt ließ der alte Elf ungewollt den Meisterschlüssel fallen, der mit lautem Getöse auf dem Marmorboden aufschlug und widerhallte.
»Fürchtet euch nicht, ich will euch kein Leid zufügen«, sprach der Fremde freundlich. »Seid Ihr der Wächter des Saales? Seid Ihr jener, den man Úlatar nennt?«
»Was zum...?« sagte Úlatar und drehte sich um, um seinen Gesprächspartner zu sehen. Im selben Moment erkannte er das rundliche, lächelnde Gesicht des kleinen Mannes, der ihm die Frage gestellt hatte. Diese eigenartige Sprechweise war unverkennbar. Ein wichtiger Fremder. Trotzdem sprach Úlatar ihn deutlich verärgert an: »So geht man nicht vor, Herr! Und es ist nicht die Stunde! Der Saal ist geschlossen. Geschlossen! Fremde, sie sind alle gleich!«
Der andere verlor nicht sein Lächeln und antwortete: »Ruft den Rat ein, Wächter der Throne. Ich übe mein Recht aus, ihn einzuberufen.«
»Geschlossen! Es gibt nichts weiter zu besprechen«, Úlatar hatte ihm vor Ärger kaum zugehört.
»Ruft ihn ein, Wächter. Ich muss den Rat versammeln. Ich bringe Nachrichten, die alle hören müssen. Geht.«
Úlatar wechselte von Zorn zu reinem Erstaunen, als er endlich begriff, was von ihm verlangt wurde. Der Fremde beharrte:
»Ich werde es kein drittes Mal sagen.«
Sein Gegenüber lächelte nicht mehr – nein, jetzt blickte er ihn mit wachsender Ungeduld an.
»Ehrwürdiger Gladio Tercio«, entschuldigte sich der verwirrte Wächter in einem anderen Tonfall, »so etwas hat es hier in Krádovel nie gegeben, seit die Throne kamen. Es würde Wochen dauern, alle Reiche zu benachrichtigen«, fuhr Úlatar fort. »Die Elfen haben nicht einmal einen König, den man rufen könnte... Solche Dinge gehören einer anderen Zeit an...«
Der Blick des Gladio Tercio erinnerte den alten Elf an seinen Eid der Pflicht.
»Gewiss, gewiss. Meine Aufgabe ist es, zu wachen und zu informieren, nichts weiter für diesen armen alten Krüppel, nicht wahr, Herr?«, antwortete Úlatar wenig überzeugt.
»Du wirst ihnen sagen, dass wir ihn gefunden haben.«
»Gefunden, Herr? Sagten Ihr das? Meine Ohren sind nicht mehr die besten. Gefunden... was?«
»Nicht was, Wächter, sondern wen. Wir haben ihn endlich gefunden. Er ist endlich erschienen. Úlatar, teilt allen mit, dass die Kadorianer den Emissär der Zeiten gefunden haben.«
Der alte Elf war erstaunt über diesen Titel. Ein Lachen entfuhr ihm unbeabsichtigt. Welch sonderbarer Einfall des Fremden! Der Emissär der Zeiten – nichts weniger! Doch als Gladio etwas hervorholte, das er in seinen Gewändern verwahrt hatte, wandelte sich das Lachen in pures Staunen. Es war wahr! Das waren wirklich Nachrichten! Eine letzte Schlacht, die noch zu schlagen war!
»Denkt daran, dass Ihr unter Eid steht.«
Úlatar nickte und machte eine feierliche Verbeugung. Danach sagte er mit bewegter Stimme:
»So soll es geschehen, großer Gladio. Ich werde den Rat einberufen, und möge sich das Schicksal Elfs auch über das unsere erbarmen.«
Gladio sah zu, wie der alte Elf durch die Korridore des Turms eilte – erstaunlich schnell trotz seiner Lahmheit – und verlor ihn kurz darauf aus dem Blick. Mit Hilfe seiner Fackel fand er den Generalschlüssel, der noch immer auf dem Boden lag. Er öffnete die drei Schlösser, schob die Verriegelungen zurück und trat ein in den berühmten Saal der Zwölf Throne.
Mit festem Schritt näherte er sich der Plattform, auf der sie ruhten.
– Die Throne – sagte er laut, als er die drei Stufen aus Marmor und Granit hinaufstieg. Dann fügte er hinzu: – Wunderschön. Wirklich wunderschön.
Ehrfürchtig berührte er den ersten von ihnen – den des Reiches Zulá, geschmückt mit Lapislazuli und Edelsteinen in Himmelblau und Marineblau. Mit dem Blick streifte er die elf übrigen Throne, schwach beleuchtet von den kleinen Fackeln, die Úlatar stets absichtlich brennen ließ. Schließlich fand er, wonach er suchte: eine doppelte Kugel aus dunklem Gold im Rückenteil eines der Throne. Sofort erkannte er das Symbol seines Landes. Ohne zu zögern setzte er sich auf diesen Thron und wartete auf die Botschaft, die ihm der eigenartige Hüter bald überbringen sollte.
– Ihr werdet nicht gewinnen. Ihr werdet uns niemals besiegen – sprach er laut und richtete seinen Blick auf den leeren, düsteren Schwarzen Thron des Dominion.
Der Kaiser von Kádor-Hum, Gladio Óptimus aus dem Hause der Tercios, wiederholte voller Zorn:
– Niemals!
Die Zeit wird es zeigen.
Dann zog er etwas Essbares aus seiner Hosentasche und begann genüsslich zu kauen.
Der Schwarze Thron schien auf seine Worte zu reagieren – tief in seinem Inneren regte sich etwas, als hätte er die Drohung des tapferen, rundlichen Kaisers vernommen. Eine neue Ader formte sich, glitt lautlos durch die Dunkelheit des kalten, schwärzlichen Steins – außerhalb der Sicht des Mannes. Er bemerkte nicht, dass sich diese Ader bedrohlich zu jenen anderen gesellte, die seit längst vergessenen Zeiten die raue Oberfläche des Schwarzen Throns durchzogen...
...wartend. Wartend auf den Ruf des Todes.
* * * * *
Alles, was er beim Öffnen seiner Augen sehen konnte, war das schwache Licht eines kleinen nahen Feuers. Er versuchte, die Hände zum Kopf zu führen, aber der Schmerz in seinem Körper war so stark, dass er nur mühsam seinen Hals bewegen konnte. Es war Nacht, und die Sterne am Himmel waren hinter dichten Wolken verborgen. Er fror und hatte Hunger. Doch vor allem spürte er Schmerz. Als sich sein Blick endlich klärte – nach einer Ewigkeit –, erkannte er, dass er mitten in einem Wald lag. Blutige Verbände bedeckten seine Wunden, vor allem am Kopf, wo ihn selbst eine kleine Bewegung mit einem stechenden Schmerz lähmte.
Zum Glück war der Schmerz nur von kurzer Dauer.
Er bemerkte einige seltsam grüne, dreizackige Blätter, die ein hässliches Hämatom an seinem Bein bedeckten – Blätter, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Er konnte sich kaum daran erinnern, was geschehen war oder warum er nachts im Wald lag – auf dem Rücken, mit Verbänden und seltsamer Vegetation, die ihm unbekannt war. Das kleine Feuer, die einzige Lichtquelle, schien langsam zu verlöschen, und er fragte sich, ob er die Kälte der Nacht überleben würde.
Da hörte er ein neues Geräusch.
Das leise Treten eines Tieres in der Nähe weckte seinen Überlebensinstinkt – und dann erschienen ihm plötzlich Bilder in seinem schmerzverzerrten Kopf: der Hilfeschrei eines Freundes, seine Hand, die ein blutiges Schwert hielt, der Blick voller Hass... Doch der erneute Schwindel und die Übelkeit ließen ihn wieder das Bewusstsein verlieren.
Einige Zeit später erwachte er erneut – erstaunt darüber, dass er noch lebte. Er konnte nicht am Leben sein. Es war unmöglich. Und doch war er da: verletzt und verloren im Wald von Gold. Obwohl er sich nun an fast alles erinnerte, hatte er keine Ahnung, was genau geschehen war. Während er versuchte, sich einen Reim darauf zu machen, hörte er die Schritte von vorhin erneut. Das Tier war ganz in der Nähe – und diesmal war klar: es steuerte direkt auf ihn zu.
„Das hat mir gerade noch gefehlt“, dachte er.
Der geschwächte Junge versuchte aufzustehen – vergeblich. Seine Augen schlossen sich unwillkürlich vor Schmerz. Die Schritte umrundeten das kleine Feuer, ohne Angst vor den schwachen Flammen. Mit großer Mühe öffnete er die Augen ein wenig, um zu erkennen, was sich ihm näherte.
Und was er sah, ließ ihn erstarren.
Ein riesiger Bär mit dunkelbraunem Fell saß direkt vor ihm und betrachtete ihn mit neugieriger Belustigung. Gerade als der Bär eine seiner mächtigen Pranken hob, wurde er von einer kindlich klingenden, melodischen Stimme unterbrochen:
— Endlich bist du wach. —Der Bär ließ die Pranke sinken und rollte sich auf den Rücken – offensichtlich verärgert über die Unterbrechung. — Keine Sorge wegen Jubal. Er wird immer etwas aufdringlich, wenn wir jemand Neues treffen — Der Bär grunzte und erhob sich, trottete in Richtung der fröhlichen Stimme. — Du solltest dich lieber nicht bewegen, sonst wirst du nie gesund, junger Mann — fuhr die Stimme fort.
— Wer bist du? Was willst du von mir? — fragte Akar.
— Immer langsam, Junge. Ich heiße Hurka — antwortete die kindliche Stimme. — Ich glaube nicht, dass du das weißt, junger Mann, aber du hattest großes Glück, dass Jubal dich rechtzeitig gefunden hat. Dieser hässliche Gonk wollte dich gerade zerfleischen.
Nach diesen Worten trat der Sprecher ins Licht. Akar konnte ihn nun sehen. Die Gestalt eines „Kindes“ von vielleicht zwölf oder dreizehn Jahren näherte sich ihm. Er trug nur einen einfachen Lendenschurz, und sein Oberkörper war dicht mit dunklem Fell bedeckt – bis zum Bauchnabel. Seine Arme – überraschend muskulös – zeigten deutlich hervorstehende Adern, selbst im schwachen Licht des Feuers. Um seinen Hals trug er eine auffällige Kette mit gelblichen Bärenkrallen und ein seltsames Tattoo, das Akar in der Dunkelheit nicht genau erkennen konnte. Der „Junge“ blieb neben dem Bären stehen und streichelte kräftig dessen Rücken, was dem Tier sichtlich gefiel. Dann wandte er sich mit ernstem Gesicht Akar zu:
— Werde wieder gesund, junger Prinz der roten Reiter. Du musst es.
— Woher weißt du, wer ich bin? — fragte Akar verblüfft. Noch bevor Hurka antworten konnte, fügte er mit Verachtung hinzu:
— Du bist nur ein Kind. Ich habe keine Zeit für...
— Ein Kind? — unterbrach ihn Hurka belustigt. — Ich sehe, die Jugend von Roühm lernt nicht mehr, wer die wahren Herren des Waldes von Gold sind.
— Herren? — Akar schaffte es endlich, sich leicht aufzurichten, um ihn besser zu sehen. — König Adkra, mein Vater, ist der einzige Herrscher und König dieses Waldes.
Bei diesen Worten begann Hurka laut zu lachen.
— Du solltest den großen König von Roühm nicht verspotten! — rief Akar verärgert, als er die Lachsalven hörte. — Auch wenn du nur ein... ein... zerlumptes Wesen bist, mit diesem Aussehen und diesem... dressierten Bären oder was auch immer – Ich werde nicht zulassen, dass du meinen Vater ein zweites Mal beleidigst! Glaub ja nicht...
Er verstummte, als ein stechender Schmerz durch seine Schulter zuckte. Als dieser abklang, fügte er mit hochmütiger Stimme hinzu:
— Glaub ja nicht, dass du dich über mich lustig machen kannst, nur weil ich verletzt bin, du frecher Bengel!
— Ruhig, Junge — antwortete Hurka, immer noch lächelnd. — Ihr Menschen seid amüsant. Unsere Art hat immer geglaubt, euer größter Fehler sei, dass ihr die Vergangenheit zu schnell vergesst.
— Was redest du da? Was meinst du? — wiederholte Akar und betrachtete ihn genauer. Etwas stimmte nicht. In Hurka war etwas... Unnatürliches. — Wer bist du? Was machst du hier allein? Wo sind deine Eltern?
„Wer ich bin? Frag besser, was wir sind“, sagte Hurka. „Du solltest uns kennen, so wie dein Vater uns einst kannte. Wir sind die Wächter des Lebens. Ihr roten Reiter habt uns in diesen Landen einen Namen gegeben, den du sicher kennst: Minimen.“
Akar öffnete ungläubig den Mund bei dem, was er gerade gehört hatte.
„Jubal ist mein Bruder von Geburt an. Hast du das wirklich nicht bemerkt?“
„Minimen!“ rief Akar und starrte den Bären an. „Aber das sind nur Märchen, mit denen man kleine Kinder erschreckt! Ich glaube dir kein Wort! Bring mich zu deinen Ältesten – das ist ein Befehl! Genug mit dem Unsinn!“
„Bist du dir sicher, junger Prinz? Du glaubst nicht? Du wirst glauben. Vieles scheint unmöglich, aber für unsere Mutter Erde ist alles möglich. Hätte sich dein Vater nicht zurückziehen müssen, hätte er es dir erklären können“, erwiderte Hurka.
„Mein Vater hat sich zurückgezogen? Was weißt du denn über meinen Vater!? Eben hast du dich über ihn lustig gemacht – jetzt redest du, als wäre er dein Freund! Weißt du, was ich wirklich glaube?“ fuhr Akar ihn herausfordernd an. „Ich glaube, du bist nichts als ein schmutziger Spion des Dominion! Du wirst nichts aus mir herausbekommen, Spion!“ sagte er und ließ sich wieder zurückfallen. — Dann fügte er hinzu: „Vielleicht bin ich noch jung, Spion – aber wir Roühm verraten unsere eigenen niemals. Und ich bin... ich bin sein Prinz. Du hast versagt!“
„Wenn du mir nicht glaubst“, warnte Hurka, „dann wirst du Jubal glauben.“
Der Bär, der sich bisher zurückgehalten hatte, streckte sich träge und trat auf Akar zu.
„Ich habe keine Angst vor dem Tod, Spion“, murmelte der Junge. „Ich bin Herr von Valtra. Großer Prinz von—“
„SCHWEIG, kleiner Mensch!“ hallten plötzlich zwei Stimmen gleichzeitig. Die kindlich-melodische Stimme von Hurka verschmolz mit einer zweiten, mächtigen Stimme – und sie kam, so unglaublich es auch schien, direkt von Jubal. „Nur ein wahrer Minim kann seine Stimme mit der seines Geburtsbruders vereinen. Das wusstest du doch, oder?“
Akar richtete sich erschrocken auf, als er sah, wie der Bär sprach und sich mit Hurka völlig synchron bewegte.
„Ich bin Hurka-Jubal, Wächter des Lebens im Goldenen Wald. Und was bist du?“ fragte der Minim mit einer natürlichen Arroganz, die Akar sehr klein erscheinen ließ. — „Jubal und ich erscheinen sterblichen Augen als zwei Wesen – doch unsere Mutter Erde, die wir beschützen, erschuf uns als ein einziges Sein.“
Beide – Bär und „Kind“ – streckten gleichzeitig ihre Pranke und Hand in Richtung Akar aus.
„Das ist unsere wahre Gestalt. So sind wir Minimen. Deine Existenz, kleiner Mensch, ist kurz im Vergleich zu der unseren. Unser Blut floss, lange bevor eures diese Lande erreichte.“
„Aber das ist doch nicht...“
„Sprich nur, wenn man es dir erlaubt, kleiner Mensch!“ fuhr der Minim ihn scharf an.
„Wir haben all eure großen Könige und ihre edlen Rösser gekannt“, fuhr Hurka-Jubal fort. „König Mumka und den schönen Dubla; Parekna und Góndrak, den Gefleckten; und viele weitere, die wir nie vergessen werden.“
Hurka-Jubal seufzte tief und hielt kurz inne.
„Akar, das hier ist unser Wald – einer unserer Zufluchtsorte. Und ihr, ihr stolzen roten Reiter, seid nur Wanderer, die diese Welt durchqueren. Vergiss das nie“, warnte der Minim.
Danach zog sich Jubal müde zurück und ließ sich gegen einen nahegelegenen Baumstamm fallen. Hurka, wieder mit sanfter Stimme, sprach weiter:
„Jetzt kannst du reden, wenn du willst, junger Mann.“
„Ich... das ist... ich kann es nicht glauben“, stammelte Akar. „Es ist unglaublich! Aber wenn du wirklich bist, was du sagst... dann würde alles Sinn ergeben. Minimen! Minimen an unserer Grenze... nein, in diesem Goldenen Wald! Wow! Ich habe mit einem echten Minim gesprochen! Wenn alles, was man über euch erzählt, wahr ist, dann... Es tut mir leid, dass ich dir gedroht habe. Ich hätte das nicht tun sollen. Es tut mir leid, schätze ich.“
„Selbst wenn du wolltest, könntest du einem Minim jetzt noch keine Gefahr sein. Aber das wirst du, Junge. Du erinnerst mich stark an Adkra, als ich ihn einst traf. Ich sehe seine Kraft und seinen Mut in dir.“
„Wirklich? Erzähl mir davon. Erzähl mir von meinem Vater, Hurka – bitte. Ich erinnere mich kaum an ihn. Was weißt du?“
„Das werde ich, junger Mann – aber wenn die Zeit gekommen ist. Jetzt bist du schwach, und deine einzige Sorge sollte deine Heilung sein“, sagte Hurka eindringlich.
Der Bär erhob sich und schnüffelte nervös in der Luft. Hurka spannte sich zeitgleich an.
„Sie suchen dich, Akar. Der Rest der Gonk-Meute, die du getötet hast, ist in der Nähe – sie wollen dein Blut, junger Mann.“
„Aber das ist bei weitem nicht das Schlimmste“, fuhr Hurka mit ernster Stimme fort. „Das Böse lauert ganz nah. Wir Minimen werden den Goldenen Wald nicht mehr lange allein verteidigen können. Der Gonk, den du getötet hast, war ein deutliches Zeichen.
Doch es gibt mehr, junger Prinz. Wir sind alle in großer Gefahr.“
Akar spürte, wie ihm die Kräfte schwanden. Hurka sprach nun leise, fast flüsternd:
„Der Feind bereitet sich vor. Und er sucht nur eines, Junge.“
„Was?“ fragte Akar mit letzter Kraft.
„Uns zu vernichten, Akar. Der Feind aus dem Norden will nur eines... uns alle auslöschen.“
„Die Meinen werden kämpfen...“ murmelte der verwundete Junge, fast im Traum.
„Das ist nicht das Wichtigste“, antwortete Hurka, während er sich zu ihm neigte und begann, seine Verbände zu wechseln.
Geschwächt, stellte Akar eine letzte Frage. Mit müder Stimme fragte er:
„Und Ormul?“
„Der schlafende Riese?“ – fragte der Minim zurück. „Jubal hat ihn gefunden. Aber du solltest wissen: Weder dein Freund wird dich je verlassen, noch wirst du ihn je verlassen können. Der Wille unserer Mutter Erde kann nicht geändert werden.“
Ohne recht zu verstehen, was Hurka meinte – dass Ormul ihn nie verlassen würde, dass die Erde selbst diesen Bund geschenkt hatte – schloss Akar schließlich die Augen. Und fiel trotz allem in tiefen Schlaf.
„So ist es, Akar“, flüsterte Hurka, während er sanft einen Verband nach dem anderen entfernte. „Erhole dich. Du wirst deine Kräfte brauchen. Das Schicksal von Valtra fließt in deinem Blut, junger Mensch. Du darfst nicht versagen.“
Hurka kümmerte sich noch lange um Akars Wunden, sein Blick schweifte ab und zu zur goldenen Klinge, die zu Füßen des jungen Prinzen lag.
Erinnernd.
Ganz unbeirrt begann Jubal, der Bär, laut zu schnarchen.
...13. Ekluv, 20. Euré, Fünfte Ära